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Neuere Rechtsprechung zum Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – was Arbeitgeber wissen sollten

Der Nachweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit erfolgt in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) durch den Arbeitnehmer. Wegen der tatsächlichen Vermutung der Richtigkeit der AUB trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass der Arbeitnehmer trotz entsprechender ärztlicher Bescheinigung nicht arbeitsunfähig erkrankt war. Liegen konkrete Umstände vor, die erhebliche Zweifel an der attestierten Arbeitsunfähigkeit begründen, kann der Arbeitgeber die Bescheinigung in Frage stellen. Die Beweiskraft einer AUB war in jüngster Zeit Gegenstand mehrerer Gerichtsentscheidungen.

Anders als in früheren Jahren zeigt sich die Rechtsprechung mittlerweile deutlich aufnahmebereiter für die Möglichkeit, den Beweiswert einer AUB zu erschüttern. Maßgeblich sind dabei insbesondere zeitliche und sachliche Umstände, die konkrete Anhaltspunkte für Unstimmigkeiten, Widersprüche oder sonstige Zweifel an der Richtigkeit der Angaben in der AUB liefern.

Beispiele aus der Rechtsprechung verdeutlichen, welche Umstände den Beweiswert erschüttern können:

Zeitlicher Zusammenhang zu Kündigungen (BAG, 8.9.2021 – 5 AZR 149/21): Das Bundesarbeitsgericht entschied bereits am 8. September 2021, dass die Beweiskraft einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert werden kann, wenn die Krankschreibung exakt die Kündigungsfrist abdeckt. In dem konkreten Fall legte die Arbeitnehmerin am Tag ihrer Eigenkündigung eine AUB für den gesamten verbleibenden Beschäftigungszeitraum vor. Das Gericht erkannte in dieser zeitlichen Übereinstimmung ernsthafte Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit und stellte klar, dass in solchen Fällen der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit substantiiert nachweisen muss.

Verstöße gegen AU-Richtlinie (BAG, 28.6.2023 – 5 AZR 335/22): Das BAG entschied in diesem Fall, dass der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) auch durch Verstöße des Arztes gegen Vorgaben der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie erschüttert werden kann - etwa, wenn der vorgeschriebene Vordruck nicht verwendet oder eine erforderliche Diagnose nach Ablauf von sieben Tagen nicht an die Stelle bloßer Symptome gesetzt wird. Maßgeblich ist dabei, ob die Abweichungen die Glaubwürdigkeit der Arbeitsunfähigkeit tatsächlich beeinträchtigen; nicht jeder Verstoß ist automatisch relevant. Es muss daher im Einzelfall geprüft werden, ob die festgestellten Abweichungen geeignet sind, ernsthafte Zweifel an der ärztlichen Diagnose zu begründen und damit den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern.

Zeitliche und sachliche Umstände als Anhaltspunkte für Zweifel an der AUB (LAG Niedersachsen, Urteil vom 31.5.2024 – 14 Sa 618/23): Die Gesamtbetrachtung der Geschehnisse vor der Arbeitsunfähigkeit, ihr Zeitraum und die anschließenden Aktivitäten des Arbeitnehmers können als Indizien zur Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dienen.

Der Kläger (Arbeitnehmer), seit Juli 2020 bei der Beklagten beschäftigt, wurde nach einer Kündigung zum März 2023 freigestellt und erhob Kündigungsschutzklage. Die Beklagte er-kannte seinen Antrag im April 2023 an und forderte ihn auf, wieder zur Arbeit zu erscheinen.
Der Geschäftsführer wies den Kläger Ende April 2023 an, eine Präsentation über seine zukünftige Tätigkeit zu erstellen, die zunächst nicht seinen Erwartungen entsprach, woraufhin der Kläger die Anweisung erhielt, die Präsentation zu überarbeiten. Einen Urlaubsantrag des Arbeitnehmers für Anfang Juni lehnte der Geschäftsführer ab. Am 2. Mai 2023 meldete sich der Kläger krank und legte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum 16. Mai 2023 vor. Mit anwaltlichem Schreiben vom 9. Mai 2023 forderte er die Beklagte zur Bestätigung seines Urlaubs auf. Eine Folgebescheinigung vom 16. Mai 2023 attestierte Arbeitsunfähigkeit bis zum 31. Mai 2023. Am 26. Mai 2023 kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis außerordentlich zum 31. Mai 2023 und trat am 3. Juni 2023 seinen geplanten Segelurlaub an. Mit seiner Klage machte der Kläger unter anderem Entgeltfortzahlung für den Monat Mai 2023 geltend.

In der Berufungsinstanz war der Arbeitgeber im Wesentlichen erfolgreich. Nach Ansicht des Gerichts war der Beweiswert der AUB erschüttert. Begründete Zweifel bestünden insbesondere wegen des zeitlichen Zusammenhangs mit den Weisungen des Geschäftsführers, des tatsächlich angetretenen Segelurlaubs trotz angeblicher Erkrankung sowie der inhaltlichen Widersprüche. Hinzu kamen förmliche Mängel der AUB.

In Nicht-EU-Ausland ausgestellte AUB (BAG-Urteil vom 15.1.2025 – 5 AZR 284/24): Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus einem Nicht-EU-Land hat grundsätzlich denselben Beweiswert wie eine deutsche, muss jedoch klar erkennen lassen, dass der Arzt zwischen bloßer Erkrankung und tatsächlicher Arbeitsunfähigkeit im Sinne deutschen Rechts unterscheidet. Im vorliegenden Fall meldete der Kläger während seines Urlaubs in Tunesien seine Arbeitsunfähigkeit bis Ende September und legte ein ärztliches Attest vor, das strikte häusliche Bettruhe und ein Reiseverbot anordnete. Dennoch buchte er bereits einen Tag nach der Untersuchung seine Rückreise nach Deutschland und trat diese auch an. Das Gericht sah dadurch zusammen mit der deutlich über der üblichen Höchstdauer liegen-den Bescheinigung, dem fehlenden Kontrolltermin sowie der Häufung ähnlicher Urlaubs-AUB-Fälle in der Vergangenheit den Beweiswert der Bescheinigung als erschüttert an (BAG, 15.1.2025 – 5 AZR 284/24).

Fazit: Die aktuelle Rechtsprechung zeigt, dass Arbeitgeber durchaus berechtigt sind, den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) kritisch zu hinterfragen, wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit begründen. Insbesondere zeitliche Nähe zu Kündigungen, Widersprüche zwischen ärztlicher Anordnung und tat-sächlichem Verhalten des Arbeitnehmers, formale Mängel der Bescheinigung oder Verstöße gegen AUB-Richtlinien können die Glaubwürdigkeit erschüttern. Auch ausländische AUBs genießen nur dann vollen Beweiswert, wenn sie den Anforderungen einer deutschen AUB genügen. Arbeitgeber sollten daher bei auffälligen Umständen eine sorgfältige Gesamtschau der Situation vornehmen, um zu prüfen, ob die Pflicht zur Entgeltfortzahlung entfallen kann.

In der Praxis sind die Anforderungen an die Erschütterung des Beweiswertes dennoch sehr hoch, sodass es sich in jedem Fall empfiehlt, bei Zweifeln am Beweiswert einer AUB rechtlichen Rat einzuholen. Hierfür stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.


Autorin: Cécile Rösler
Stand: September 2025


Neuer Sonderkündigungsschutz im Zusammenhang mit dem Hinweisgeberschutzgesetz

In Zeiten schwächelnder Konjunktur und der Notwendigkeit, Personal abzubauen, sollten Unternehmen jeder Größe über Sonderkündigungsschutzgründe Bescheid wissen.

Gängige Gründe für einen Sonderkündigungsschutz sind unter anderem Schwanger-schaft/Elternzeit, Mitgliedschaft im Betriebsrat, Schwerbehinderung oder auch die Tätigkeit als interner Datenschutzbeauftragter.


Das HinSchG bringt – wenn auch etwas versteckt – einen besonderen Kündigungsschutz für Hinweisgeber, der unabhängig von der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes und der Dauer des Arbeitsverhältnisses gilt. Betroffen sind also alle Arbeitgeber, auch Kleinbetriebe.

Gemäß § 36 Abs. 1 HinSchG sind Repressalien gegen hinweisgebende Personen unzulässig.

Hinweisgeber sind natürliche Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit oder im Vorfeld einer beruflichen Tätigkeit Kenntnis von Verstößen erlangt haben und diese an die nach diesem Gesetz vorgesehenen Meldestellen weitergeben oder offenlegen.

Behauptet der Hinweisgeber, dass eine Kündigung aufgrund der vorangegangenen Meldung erfolgt ist, trägt der Arbeitgeber die volle Beweislast für das Gegenteil.
Auch im Kleinbetrieb obliegt es dann dem Arbeitgeber, das Vorliegen eines hinreichend gerechtfertigten Kündigungsgrundes zu beweisen bzw. zur Überzeugung des Gerichts darzulegen, dass kein Kausalzusammenhang zwischen der Anzeige und der Kündigung besteht. Gelingt ihm dies nicht, ist die ausgesprochene Kündigung unwirksam. Darüber hinaus kann sich der Arbeitgeber schadensersatzpflichtig machen.

Zwar muss sich die Meldung der hinweisgebenden Person auch auf einen Verstoß nach § 2 HinSchG beziehen, doch eröffnet z.B. der im Katalog des § 33 Abs. 1 HinSchG ebenfalls normierte Schutz personenbezogener Daten bekanntlich ein weites Feld.

Wie können sich Arbeitgeber schützen?

1. Eine ordnungsgemäß eingerichtete Meldestelle kann dazu führen, dass der kündigende Arbeitgeber (noch) keine Kenntnis von der Identität des Hinweisgebers hat und damit der Nachweis geführt werden kann, dass die Kündigung nicht kausal auf dem Hinweis beruht.

2. Tatsächliche verhaltens-, personen- oder betriebsbedingte Kündigungsgründe sollten immer zeitnah dokumentiert werden und zwar auch dann, wenn Arbeitnehmer aufgrund der Größe des Betriebes eigentlich keinen Kündigungsschutz genießen.

3. Der beschriebene besondere Kündigungsschutz gilt auch während der Probezeit. Die Vereinbarung eines befristeten Arbeitsverhältnisses anstelle eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses mit Probezeit kann das beschriebene Problem ebenfalls einschränken.


Autorin: Janina Jundt

Stand: Dezember 2023

Das Bundesurlaubsgesetz kann auf GmbH-Geschäftsführer unter Umständen Anwendung finden

Das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) gewährt Arbeitnehmern einen gesetzlichen Mindesturlaub. Nach seinem Wortlaut gilt es ausschließlich für Personen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen (§ 1 BUrlG). GmbH-Geschäftsführer – insbesondere solche ohne eine Mehrheit an den Gesellschaftsanteilen, also Fremdgeschäftsführer – nehmen eine Sonderstellung ein: Sie sind Organvertreter der Gesellschaft und unterliegen damit grundsätzlich nicht dem typischen arbeitnehmerschützenden Regelungssystem des Arbeitsrechts.

 
Ob ein Fremdgeschäftsführer ausnahmsweise doch als Arbeitnehmer im Sinne des Bundesurlaubsgesetzes einzuordnen ist, hängt von den tatsächlichen Verhältnissen seiner Tätigkeit ab: Ist der Geschäftsführer persönlich abhängig tätig, unterliegt er etwa detaillierten Vorgaben hinsichtlich Arbeitszeit, Aufgaben und Entscheidungsbefugnissen, kann er – rechtlich betrachtet – als Arbeitnehmer eingestuft werden.


Diese Einschätzung wurde vom Bundesarbeitsgericht (BAG) in seinem Urteil vom 25.07.2023 (Az. 9 AZR 43/22) bestätigt. Das Gericht entschied, dass auch ein (ehemaliger) Fremdgeschäftsführer unter den Anwendungsbereich des Bundesurlaubsgesetzes fallen kann, sofern er faktisch nicht unternehmerisch eigenständig tätig war. Insbesondere nach Abberufung oder Vertragsbeendigung sei zu prüfen, ob ein Arbeitsverhältnis bestanden habe – mit entsprechenden Ansprüchen auf Urlaub oder Urlaubsabgeltung.


Fazit:
Die Anwendung des Bundesurlaubsgesetzes auf GmbH-Geschäftsführer ist kein Automatismus, aber in bestimmten Konstellationen durchaus möglich. Entscheidend ist stets die arbeitsrechtliche Einordnung anhand objektiver Kriterien, nicht allein die gesellschaftsrechtliche Stellung. Unternehmen sollten daher bei der Anstellung von Geschäftsführern und deren Beschäftigung darauf achten, so wenig Anhaltspunkte wie möglich für das Vorliegen einer weisungsgebundenen Tätigkeit schaffen, wenn sie vermeiden möchten, dass jedenfalls europäisch geprägte Arbeitnehmerschutzvorschriften wie etwa das Bundesurlaubsgesetz auf die bei ihnen angestellten Fremdgeschäftsführer Anwendung finden.


Wichtig: Nur weil ein Fremdgeschäftsführer im Einzelfall als Arbeitnehmer bei der Anwendung des Bundesurlaubsgesetzes einzuordnen ist, bedeutet das nicht, dass er als Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitszeit- oder des Kündigungsschutzgesetzes gilt. Sollten Sie Zweifel hinsichtlich des Geschäftsführerstatus oder Fragen hierzu haben, können wir dies gerne für Sie überprüfen.

 

Autorin: Aurélie Bakayoko

Stand: Mai 2025

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